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Zeitleisten-Biografie zu Wolfgang
Müller von
Königswinter.
Ein paar Texte
von Wolfgang Müller von
Königswinter.
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Königswinter.
Einige Personen
zu und um Wolfgang Müller von
Königswinter
Und zudem auch Liste
Bücher Publikationen Veröffentlichungen zu Wolfgang
Müller von Königswinter.
Wolfgang Müller von Königswinter
| * 5.3.1816 | + 29.6.1873 | W. M. v.
K.
[Textversion in dieser Fassung
online erschlossen und mit dem Buch abgeglichen von K. J., erstmals
komplett beendet am 29.6.2023, am 150. Todestag von Wolfgang
Müller von Königswinter.]
Im Original sind keine Leerzeilen zwischen Absätzen, sondern
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Leerzeilen.
Von Wolfgang Müller von Königswinter.
Der
Domschüler.
Geschichte des Clemens Heil.
I.
Ich
bin in Köln am Rhein geboren, aber
nicht in der heutigen, sondern in der frühern Stadt. In der That
kenne ich meinen Heimatsort kaum wieder, so sehr hat er sich seit den
lezten Jahrzehnten geändert. Wer jetzt die modernen Häuser
in den alten Gassen und die neuentstandenen geradlinigen Straßen
im frischesten Stile erblickt, der macht sich kaum einen Begriff von
seinem sonstigen Ansehen. Außer in manchen byzantinischen und
gothischen Kirchen und einigen nur hier und da verstreuten Häusern
mit Thürmchen und Erkern findet man nichts mehr von dem alten,
heiligen Köln.
Das
alte, heilige Köln! Ach, ich habe
freilich nicht seine Wirklichkeit, aber doch die Schatten gesehen,
die es in die Gegenwart warf. Wenn ich heutigentags auf einem Berge
stehe und von fern gewahre, wie seine ehrwürdigen,
jahrhundertealten Thürme in die Luft ragen, dann einzig und
allein tauchen in meinem Geiste die Bilder herauf, die ich auf meiner
Wanderung durch die Stadt nimmer wieder finden kann. Dann träume
ich mich zurück in
die dunkeln, krausgewundenen Gassen mit ihren spitzen,
abenteuerlichen Giebeln, mit ihren phantastischen Erkern und mit
ihren trübe gewordenen, hohen Fenstern; ich wandere vorbei an
den stolzen Kirchen im Rund- oder Spitzbogenstile, ihre breiten oder
hohen Thürme bewundernd, Thüren und Fenster betrachtend und
mit tausend Gedanken an dem bunten Zierath aus Pflanzen- und
Thierreich umherklimmend; ich halte still vor den Ruinen alter
Kapellen und Thore, die von der sinnigen Vorzeit reden; ich schweife
hinaus aus dem bewohnten Theile der Stadt und verliere mich zwischen
lange Mauern, über welche Tarushecken emporragen, die hin und
wieder einen alten Bau sehen lassen.
Wie
es mir damals zu Muthe ward, so kommt es
heute, wo alles umgestaltet ist, nicht mehr über mich. Wie
wehten mich sonst überall die Stimmen der Vergangenheit an! Es
war, als flüsterten sie alte, verschollene Geheimnisse von
gottergebener Frömmigkeit, von verstohlener Liebe, von Lust und
Leid der Ahnen. Mochte die süße Frühlingszeit
wiederkommen mit ihren Schwalben, die so behaglich an den alten
Simsen und Fenstern nisteten, mochte der heiße Sommer mit
seinen langen, blauen Tagen über den Thürmen leuchten,
mochte der Herbst mit seinen Nebeln die Stadt in einen duftigen
Schleier hüllen, oder mochte der Winter seinen Schnee auf die
Dächer streuen und Eiszapfen an die mittelalterlichen Denkmale
hängen: immer hatte die Stadt einen eigenthümlichen Zauber.
Sie sah selbst seltsam im brüllenden Gewitter und im dunkeln
Sturm und in klaren Mondnächten aus. Es lag in all diesen
Stimmungen etwas, was mir
eine Erklärung gab, warum man die Stadt die "heilige"
nannte. Wie sehr aber wurde dieses Gefühl in mir erhoben und
gerührt, wenn an Feiertagen eine Procession gläubiger
Christen unter frommen Gesängen und erhebenden Gebeten mit
fliegenden Fahnen und festlichen Kleidern die Straßen durchzog,
während schneeweiß gekleidete Jungfrauen Heiligenbilder
dahintrugen, und die Priester, von goldgewirkten Kleidern umwallt,
von Weihrauch umduftet und von Kerzen umleuchtet, die Monstranz
zeigten und allwärts den Segen spendeten! Fast noch erhebender
war es, wenn am frühen Morgen oder späten Abend in der
Dämmerung die Thürme zu reden anfingen und ihr gewaltiges
Glockengeläute über die in Ruhe sich hinsenkende Stadt
streuten.
Alles das finde ich heute nicht mehr wieder. Mein heimatliches Köln ist mir verloren gegangen. Ich werde es niemals mehr entdecken können, weil die Gegenwart die alten Farben verwischt und frische, aber für mich minder ansprechende aufgetragen hat. Und auch das dunkle Haus, welches meine Kindheit sah, ist längst verschwunden und hat einem neuen, eleganten Bau Platz gemacht. Was brauchte es auch in die neue Zeit hinüberzuragen! Seine Bewohner, meine guten Aeltern, lagen ja ebenfalls im Grabe, und ich war in der Fremde, als die Handwerker mit ihren Brechinstrumenten erschienen und die dicken Mauern, zwischen denen doch so manche schöne Erinnerungen klebten, unbarmherzig umrissen, und als der Baumeister mit seinem Plane kam, um an derselben Stelle ein zweckmäßigeres und bequemeres Haus, wie man zu sagen pflegt, aufzurichten. Nein, der alte Bau durfte nicht fortleben.
Und
dennoch war es ein gemüthliches,
gutes Haus. Die Dämmerung in seinen alten Gemächern war mir
wenigstens viel lieber als der klare, lichte Tag in manchen
Palästen.
Seine dunkeln Winkel heimelten mich mehr an als die feine Pracht der
Zimmer nach dem neuesten Geschmacke. Vorn grenzte es an eine enge
Gasse, in welcher beinahe überall das höhere Stockwerk das
untere überragte, sodaß sich die Nachbarn aus den
höchsten
Fenstern fast die Hand reichen konnten. Zur ebenen Erde befand sich
neben der Hausthür nur eine kleine Stube. Die Flur nahm den
übrigen Theil der Fronte und fast die ganze Mitte des Hauses ein
und enthielt eine Wendeltreppe, welche in die obern Stockwerke
führte. Nach hinten aber war ein großes Zimmer, welches
auf einen kleinen, freundlichen Garten stieß, über dessen
Mauern wir den Anblick der stolzen, kühnen Formen des Domes
hatten. Merkwürdiger für mich als diese Räume war ein
Saal, der, auf dem ersten Stock gelegen, ebenfalls nach der Hofseite
hinaussah, und der sich durch alte Einrichtungen in der Architektur
und in den Geräthen und besonders durch eine schöne
Sammlung von mittelalterlichen Gemälden auszeichnete. Von den
andern Räumen, die als Schlaf- und Vorrathskammern dienten, ist
nicht viel mehr zu melden, als daß sie mit ihren Winkeln,
Kaminen und Ausbauten durchaus mit den übrigen Theilen
übereinstimmten.
Die
Bewohner, welche hier aus- und ausgingen
und diesen stillen Bereich durchwebten und belebten, schienen für
das Haus geboren. Mein Vater war ein
schlichter, einfacher Mann. Im Besitze eines von seinen Aeltern
ererbten schönen Vermögens, lebte er von seinen Renten. In
der Jugend hatte er gelehrten Studien obgelegen, einige Hohe Schulen
besucht und mehrere Reisen gemacht, von denen er angenehm und
lehrreich zu erzählen wußte. Als er in die Heimat
zurückkehrte, gab er mannichfache Beweise geschmackvoll
gesammelter Kenntnisse; dieselben aber waren nicht derart, um ihn
größern Lebenskreisen nützlich zu machen und zu
empfehlen; denn sie schlugen meist in das Fach der Philologie und
Alterthumskunde. Die Schlagfertigkeit und die Thätigkeit, welche
der Markt und das öffentliche Leben verlangen, waren nicht sein
Eigenthum. Mit bequemer Behaglichkeit ging er seinen Liebhabereien
nach und beschäftigte sich meistens mit alter Kunst und
Wissenschaft. In einen geblümten Schlafrock gehüllt,
saß
er die größte Zeit seines Lebens auf dem großen Saal
des ersten Stockes und blätterte in alten Folianten,
durchstöberte Pergamente und Papiere und betrachtete vergilbte
Bildwerke und Kupferstiche. Die wenigen Ausgänge, welche er
machte, galten ebenfalls diesen Beschäftigungen, indem er sich
bei Antiquaren und in Archiven mit neuem Vorrath von alten Schriften
und bildlichen Darstellungen versah. Besonders die Sage, die
Geschichte und die Alterthümer der Heimatsstadt nahmen seine
Aufmerksamkeit in Anspruch. Ich erinnere mich, oft aus seinem Munde
gehört zu haben, daß von Aeneas Sylvius Köln mit
Recht das deutsche Rom genannt worden sei. In der That hatte er in
diesen Zweigen bedeutende Kenntnisse erworben. Obgleich er keineswegs
damit prahlte, so wurde er doch in archäologischen
Dingen von seinen gelehrten und ungelehrten Mitbürgern als
Autorität angesehen, und es geschah nicht selten, daß er
von Fremden und Einheimischen, ja sogar von den Behörden in
Betreff vorzeitlicher Ereignisse und Thatsachen vernommen wurde.
Alles das aber war nicht im Stande, ihn persönlich eitel zu
machen. Er kannte nur Einen Ruhm, und dieser betraf seine theuere
Heimat, er betraf das alte, heilige Köln.
Ich weiß nicht, wie andere Leute über ihn gedacht haben, mir aber erschien sein ganzes Wesen überaus angenehm und wohlthuend. Seine Gestalt hatte die gewöhnliche Größe, sie war nicht stark und nicht hager, sie hielt sich innerhalb der Grenzen eines mittlern Maßes. Im Gesichte trug er die Spuren des freundlichsten Gemüthes, seine blauen Augen leuchteten in reiner Gutmüthigkeit, sein Mund war voller Wohlwollen, und seine faltenlose Stirn, die schön geformt unter den vollen grauen Locken hervortrat, verkündete Klarheit und Feinheit. Er redete nicht viel, aber wenn er sprach, so waren seine Worte würdig und gehaltvoll. In seinen Bewegungen erschien er schnell und geräuschlos. Ich erinnere mich nicht, ihn heftig oder gar zornig gesehen zu haben. Eine natürliche Würde, die er stets beibehielt, machte indeß viel mehr Eindruck als tausend heftige Worte, wie ich sie oft von andern gehört habe. So gehörte er zu jenen Erscheinungen, die, eben weil sie selten ihre Meinungen kundgeben, denselben auch einen desto größern Nachdruck zu geben wissen, obgleich dies eigentlich doch wieder unbewußt geschieht.
Eine durchaus verwandte Natur war meine
Mutter. Ueber den gewöhnlichen Wuchs hinausgehend, erschien sie
eher von hagerer Statur. Ihr Angesicht war die Güte und Milde
selbst. Man konnte nicht leicht tiefere und sinnigere Augen sehen als
die ihrigen. Jeder Blick, der aus ihnen leuchtete, verbreitete
Freundlichkeit und Versöhnung. Wenn ich später zuweilen in
der stillen Frühlingsnacht den Mond am tiefblauen Himmel
dahinwandeln sah, mußte ich an sie gedenken; denn die Natur hat
auch ihre Stimmungen, welche uns an bestimmte Menschen erinnern.
Neben ihrem angeborenen Naturell mochte wol (Sic! K. J.) hauptsächlich
ihre
Religiosität die Ursache dieses stets sich gleichbleibenden
frommen und reinen Wesens sein; denn wie der Vater vorzugsweise in
den Büchern, so verkehrte sie am liebsten in gläubigen
Gesprächen und Beschäftigungen. Außer dem Hause war
es fast nur die Kirche, welcher sie all ihr Denken und Thun widmete.
Aber
auch an ihrem Herde schaffte sie fleißig und
unverdrossen. Sie war sogar entschieden die Seele des ganzen Hauses.
Von morgens früh bis abends spät sah man sie thätig,
um überall Regel und Ordnung herzustellen und beizubehalten. War
sie nicht durch Handarbeiten an die Stube oder durch die Sorge für
das Mahl an die Küche gefesselt, so gewahrte man sie im Hause
umherwandern, indem sie jede Ecke der Zimmer und alle Kisten und
Kasten durchsuchte und keinen Flecken übersah, kein Stäubchen
liegen ließ. Durch sie war das alte Haus ein Muster der
Reinlichkeit. Gleichwol (Sic! K.
J.) vernahm man sie bei diesen Beschäftigungen
niemals lärmen und poltern. Was von ihr ausging, das geschah
ruhig und still. Man merkte sie kaum. Dabei erschien sie bei den
häuslichen Zusammenkünften, beim Frühstück sowie
beim Morgen- und Abendessen, als das belebende Element. Sie sprach
vor jeder Mahlzeit das Gebet, sie leitete die Unterhaltung und
brachte mit munterm Geiste mancherlei Scherz und Kurzweil zu Tage;
denn sie war keineswegs kopfhängerisch und mürrisch, wie es
sonst bei solchen Persönlichkeiten nicht selten der Fall ist.
Ihre Frömmigkeit hatte ihr Gemüth gereinigt und
geläutert
und ihr auf diese Weise eine unverwüstliche, klare Heiterfeit
verliehen.
Bei diesen Personen und Umständen konnte unser Leben nicht viele Veränderungen erleiden. So reihte sich denn auch ein Tag an den andern ohne allen Wechsel. Die meisten Menschen erzählen von gewissen Abschnitten in ihrem jugendlichen Dasein. Sie theilen selbst die Perioden ihrer Jugend ein nach Ereignissen, die ihnen plötzlich und unerwartet ins Leben fallen und demselben neue Wendungen geben. Ich habe von solchen Zufällen nicht zu reden. Das Haus, worin wir wohnten, Vater und Mutter, die mich umgaben und mir wohlwollten, blieben immer dieselben. Geschwister hatte ich nicht, sie boten mir also auch keine Veränderungen dar. Höchstens der Wechsel der Dienstboten brachte einige leise Wellen in den still dahinfließenden Strom unsers Lebens; aber auch diese waren gering, denn die Mägde wurden so gewählt und geschult, daß sie sich wenig bemerkbar machten. Dazu weiß ich kaum, daß uns Leute besuchten. Die wenigen, welche hin und wieder kamen, waren ebenso
geräuschlos
und still wie die Einwohner
des Hauses, in welchem sie erschienen. Von Verwandten hörte und
sah ich ebenfalls nichts; die wenigen, von denen die Rede war,
schlummerten in kühler Erde, und es wurde von ihnen gesprochen
wie von längst Verstorbenen.
Außer
zum Besuche der Schule ging ich nur bei seltenen
Gelegenheiten aus dem Hause, nicht etwa, weil ich mit Strenge
zurückgehalten wurde, sondern weil ich mich im gewohnten Kreise
am wohlsten fühlte. Geschah es aber, daß ich die
friedlichen Mauern verließ, so war es meistens in Begleitung
meiner Mutter, die ich alsdann auf ihren religiösen
Uebungsgängen begleiten durfte. Wir durchwanderten auf diese
Weise fast alle Kirchen der Stadt zu den verschiedensten Zeiten und
zu den mannichfaltigsten Andachten. Die heiligen Geschichten, welche
denselben zum Grunde liegen, wurden mir bei solchen Gelegenheiten
erzählt und prägten sich unauslöschlich dem
jugendlichen Geiste ein. Noch größeres Leben erhielten sie
durch die symbolischen Feierlichkeiten, mit welchen die Kirche jedes
Ereigniß geheiligt und verklärt hat. Dadurch gewannen fast
alle Jahreszeiten ihren unaussprechlichen Reiz. Wie herrlich begann
der Kreislauf des Jahres in der Religion mit dem Weihnachtsfeste!
Schon Morgens um drei Uhr wurde ich am Tage der Geburt Christi
geweckt. Welchen eigenthümlichen, geheimnißvollen Eindruck
machten die dunkeln Straßen, die vom Geläute der Glocken
widerhallten! Nur hier und da begegnete uns ein Mensch, der wie wir
die Absicht hatte, dem frühen Gottesdienste beizuwohnen. In
wunderbarem Gegensatze zu der tiefen Nacht erglühte die
Kirche von tausend Kerzen. Die Orgel klang in vollen
Strömen. Das Halleluja erscholl. Die freudige Botschaft von der
Geburt des Erlösers quoll in festlichen Gesängen durch die
helle, volle Kirche, in der ein Meer von Andacht und Seligkeit
dahinwogte. Und wie strahlend begrüßte uns das Osterfest
nach der düstern, qualvollen Charwoche, in welcher wir von
Gotteshaus zu Gotteshaus Römerfahrt gehalten hatten mit
traurigem Gemüthe über die Leiden des Herrn, von denen uns
die Darstellungen des Heiligen Grabes, die Trauergewänder der
Altäre und die Klagelieder der Priester so trübe Dinge
erzählten! Nun aber sprang auf einmal die Gruft: die
Auferstehung, dieses Wunder aller Wunder, war vollbracht, alle
Gläubigen jubelten auf, die Zukunft der Religion der Liebe war
gerettet, sie glänzte in goldenem Lichte, und wieder ertönte
das laute Halleluja der Kirche. Fast noch prächtiger kam das
Pfingstfest heran, der Tag, wo der Herr die feurigen Zungen über
seine Apostel sendete, damit sie hinausgingen in alle Welt und die
frohe Botschaft der allgemeinen Menschenliebe verkündeten. Da
war es meist zugleich hoher Sommer. Die Luft leuchtete dann in tiefem
Blau, und von allen Thürmen beierten die Glocken.
Das waren die
Hauptfeste. Aber wie viele kleinere gab es, nicht so hinreißend
und gewaltig Herz und Geist erhebend, dafür aber nicht weniger
tief in das Gemüth eingreifend! Die katholische Religion ist
eine großartige Dichterin, welche alle Thaten und Personen der
heiligen Geschichte mit einem wunderbaren Duft und Klang umwoben hat.
Wie lieblich sind da die Marientage, für deren Feier sie die
sinnigsten und tiefsten Lieder besitzt,welche
je der Dichtung entsprossen sind. Wie anmuthig feiert sie
die heiligen Drei Könige und deren abenteuerliche Fahrten, da
sie dem großen Sterne nachgingen, bis sie, die hohen Herrscher,
in einem Stalle niederfallen mußten, um vor der Liebe und
Weisheit in Gestalt eines Kindes zu beten! Ja, selbst der Humor ist
ihr nicht fremd in gemüthlichen Geschichten und Legenden. Man
möge nur an den heiligen Nikolaus denken, der über Nacht in
die Häuser der guten Kinder kommt und ihnen allerlei beschert,
während er die bösen seinen Zorn fühlen läßt.
All
diese Dinge gaben meinem jugendlichen Gemüthe unendlich
viel zu denken und zu überlegen. Schon im voraus machte mich die
Mutter mit den heiligen Gebräuchen und ihren Ursachen bekannt,
nachher beschäftigten sie stunden- und tagelang meine Phantasie.
Es ist mir noch, wenn ich an jene Tage gedenke, als wäre ich
damals gleichsam von einer Atmosphäre umflossen gewesen, wie
man sie bei großen Festlichkeiten in gothischen Kirchen findet,
wenn von oben das gedämpfte Licht, welches durch die bunten
Fenster fällt, und wenn von unten die Weihrauchdüfte, die
in die Höhe quellen, eine magische Stimmung durch das Gotteshaus
wehen. Es war mir oft zu Muthe, als wenn selige Gestalten mich
umschwebten, mich mit seltsam tiefen Augen anblickten und mich mit
langen, weißen Lilienfingern berührten. Ja, es kam mir
zuweilen vor, als hörte ich fremde, äußerst
wohlklingende Laute aus ihrem Munde, die zu frommen, getragenen und
unendlich wohlklingenden Gesängen anschwollen. Mit diesen
Träumereien konnte ich oft stundenlang zubringen, ihre Bilder
fixirten sich ordentlich vor meinen
Augen; ich ging dabei wie in halben
Schlafe und in halbem Wachen umher, und schrak in meinem innersten
Wesen zusammen, wenn ich plötzlich durch einen Zuruf oder durch
ein anderes Ereigniß geweckt wurde.
Diese Momente erlebte ich übrigens fast nur in der friedlichen Ruhe unsers Hauses, das ganz dafür geschaffen war, einer solchen geistigen Stimmung Nahrung zu geben. Der liebste Zufluchtsort in demselben aber blieb mir bei weitem jenes Zimmer im ersten Stocke, welches nach dem Hofe lag und über die Gartenmauer hinaus nach dem Dome sah. Dort hingen einige gute Bilder der altkölnischen Schule, deren reine, durchsichtige Gestalten mit dem naiven, frommen Gesichtsausdrucke ganz zu meinen Gesichten paßten. Dort standen die großen Folianten mit den schönen, scharfgeprägten Holzschnitten, welche mich mit ihren Erzählungen in das Leben der Heiligen einführten. Die Architektur an den Fenstern im Spitzbogenstile, die Verzierungen an dem Kamine, die Geräthe, die Tische, die Stühle, die Schränke, die Betbank, die sämmtlich (Sic! K. J.) aus frühern Jahrhunderten stammten und hier ein neues Asyl gefunden hatten: jegliches stimmte so ganz und gar zu meinen Beschäftigungen und zu meinen Gedanken, daß die Absicht das alles nicht besser zusammenfügen konnte, was hier absichtslos zum Hintergrunde meines ganzen Wesens zusammengebracht war. Ueberaus wohlthuend und erhebend war zugleich der Anblick des Domes, wie trümmerhaft er auch in dieses stille Gemach hineinschaute. Unendlich beglückend brachen da oft die Abend- und Morgenstunden an Fest- und Sonntagen herein, wenn ich mich allein befand und wenn die gothischen Pfeiler der Kathedrale, vom klaren Früh- oder rothen Spätlicht beleuchtet, in den feierlichen Himmel hinausragten und die Domglocken ihr gewaltiges Geläute anstimmten. Seltsam durcheinandergewoben ertönten dann in mein Ohr jene Harmonien und erschienen vor meinem Auge jene Gestalten meiner Träumereien. Wunderbar wehte es mir durch Mark und Bein. Ich fühlte etwas in der Seele, wie es die Seher und Propheten früherer Zeiten gefühlt haben mögen. Es war mir, als löste sich der Geist vom Leibe und schwebte fort und fort zwischen Himmel und Erde. Die höchste Seligkeit kam über mich, so aufregend und doch so beruhigend.
II.
Je
mehr ich ein solches abgeschlossenes inneres Leben liebte und
suchte, desto weniger paßte ich für die lebendige
Thätigkeit einer täglich sich erneuernden Beschäftigung.
War schon meine ganze häusliche Umgebung dazu geschaffen, mich
von der Außenwelt abzuhalten, indem sie mir nur Beispiele vor
Augen stellte, die verschlossen und abgeschieden in sich lebten, so
neigte mein Geist nicht weniger zu einer solchen passiven Existenz.
Deshalb gehörte ich denn in der Schule keineswegs zu denjenigen
jungen Leuten, welchen die Lehrer die eine oder die andere
Auszeichnung nachrühmten. Sie wollten mir wohl, das sah ich aus
ihrem Benehmen, denn sie behandelten mich stets mit der
größten
Güte und Milde. Mein ruhiges, gesittetes Betragen mochte wol
(Sic! K. J.) die
haupsächlichste Ursache sein, daß sie mich stets als
einen guten Jungen schilderten. War aber von meiner
wissenschaftlichen Befähigung die Rede, so zuckten sie mit den
Achseln und nannten mich einen Träumer, während ich bei
meinen. Mitschülern, denen ich so oft von Kirchen und alten
Sachen sprach, der Domschüler hieß. In der That verdiente
ich
diese Namen; der erstere zeugte, mild
ausgedrückt, genugsam (Sic!
K. J.) von der Freundlichkeit der Lehrer, der
letztere in seiner schärfern Bezeichnung charakterisirte (Sic! K. J.) meine
Liebhabereien. Den klaren praktischen Wissenschaften, welche in der
Schule gelehrt wurden, der Mathematik und Naturkunde, konnte ich
durchaus keinen Geschmack abgewinnen. Kamen sie zum Vortrag, so
schweiften meine Gedanken von den häßlich geformten Zahlen
und von den nüchternen Linien und Figuren in die Weite. Etwas
besser ging es mir in den Sprachen, denn sie dienten mir als
Brücke
zur Literatur, für welche ich eine größere Neigung
besaß. Aber auch hier galt mir das schroffe grammatikalische
Wissen weniger als die leichte, rasche Lektüre, für die
ich, wie es schien, ein unbewußtes Talent an den Tag legte. Das
Griechische und Lateinische erlernte ich denn auch ohne viel
Mühe
und Fleiß, und ich konnte bald die leichten und schweren
Schriftsteller in diesen Sprachen verstehen. Für die Geschichte
hatte ich insofern Interesse, als sie mir geschehene Dinge
erzählte,
die zu meinem Wissen paßten. Nur die poetischen Elemente in
ihr behagten meinem Geschmacke; wo sie Staatskunst und Rechtsfragen
behandelte, da erstarrte meine Neigung für sie. Im übrigen
aber kann ich nicht sagen, daß ich überhaupt eine Vorliebe
für irgendein wissenschaftliches Fach gefühlt hätte.
Ich arbeitete, weil ich es für meine Pflicht hielt; darum wurden
denn auch meine Arbeiten leidlich, aber nicht vorzüglich.
Die
einzige Beschäftigung, für welche ich eine
ausgesprochene und entschiedene Neigung hegte, war die Zeichenkunst.
In der Schule wurde sie nur in den untern
Klassen gelehrt. Hatte ich mir jemals ein treffliches
Zeugniß
erworben, so war es in diesem Fache der Fall gewesen. Was sonst
einmal in der Lehre abgeschüttelt war, das pflegte ich nicht
wieder aufzunehmen, im Gegentheil, ich war froh, es wie eine
lästige
Sache hinter mir zu wissen. Als ich in jene Klasse gekommen war, wo
das Zeichnen nicht mehr auf dem Stundenplane stand, warf ich meine
Zeichenbücher nicht weg, wie es mit den Lehrbüchern
geschah. Ich bewahrte den Bleistift, die Kreide, den Wischer, und
bald wurde es eine angenehme und erwünschte Gewohnheit, in den
freien Stunden zu der Lieblingsbeschäftigung zurückzukehren.
Auch ohne einen Meister, der das Auge regelte und die Hand leitete,
versuchte ich meine Studien fortzusehen. Später wagte ich sogar,
Pinsel und Wasserfarben zur Hand zu nehmen und mich in dieser Manier
zu versuchen, und ich hatte dabei die Freude, all meine Hoffnungen
und Erwartungen übertroffen zu sehen. Ich machte die Entdeckung,
daß ich nur bei dieser Beschäftigung Fleiß und
Ausdauer besaß.
Die
Stoffe, welche ich für meine Arbeiten wählte,
gehörten, wie man sich leicht denken kann, der Heiligen Schrift
an. Zwischen meinen Träumereien und meinen Zeichnungen und
Aquarellen offenbarte sich bald eine auffallende Aehnlichkeit. So
lange ich noch mit Nachahmungen zufrieden war, boten die Initialen in
den Folianten des Bücher- und Bilderzimmers meines Vaters mir
vielfache reiche Vorbilder. Stunden- und tagelang konnte ich alsdann
still dasitzen, ganz vertieft in die seligen, frommen Gesichter,
welche eine dunkle Vergangenheit diesen heiligen Männern und
Frauen der
Legende aufgeprägt hatte. Da verdroß mich keine Mühe,
immer wieder von neuem die Contouren zu entwerfen und die Farben zu
mischen, um jene wunderbare Feinheit und Zartheit zu erreichen,
welche die Originale besaßen. Keine andere Arbeit konnte mir
das Genügen geben, welches ich empfand, wenn ich vor den alten
Holztafeln oder den feinen Pergamentblättern saß und mir
zuweilen gestehen durfte, daß meine Nachbildungen nicht ganz
unvollkommen seien, ja, daß ein Hauch von der Innigkeit
vergangener Jahrhunderte sie durchwehe.
Diese
Nachahmung alter Bilder genügte mir nur für kurze
Zeit. Je mehr meine Hand an praktischer Geschicklichkeit gewann und
die Schwierigkeiten der Ausführung überwand, desto mehr
drängte es mich, meine eigenen Gedanken und Gefühle in
künstlerischen Gebilden wiederzugeben. Ich habe schon von jenen
Träumereien erzählt, die mir die wunderbarsten
Erscheinungen vor meine Seele zauberten. Diese harmonischen Gestalten
umwebten mich in solchen Augenblicken und wurden in meiner Phantasie
zu Bildern, die ich aus der leeren Luft nur abzuzeichnen brauchte.
Mit brennendem Geiste, mit glühenden Augen, mit zitternder Hand
versuchte ich es, meine Visionen auf das Papier zu bringen. Was ich
schuf, wußte ich oft selber nicht; aber wenn ich dann aus
meinen Verzückungen erwachte, so sah ich vor mir auf dem Papiere
fliegende Scharen von singenden Engeln, ich erschaute edle Männer
und Frauen in heiliger Begeisterung, die Bilder der Muttergottes, des
Erlösers und Gott Vaters tauchten vor meinen Blicken auf. Ich
gewahrte, daß sie denselben Typus in
Gestalt und Ausdruck hatten, der meinen Vorbildern eigen war; aber
sie besaßen doch auch noch ein unerklärliches Etwas,
welches mir selbst angehörte, und das nur ich ihnen zu geben
vermochte. Es leuchtete mir mein eigenes Wesen, meine Seele, aus den
Gestalten entgegen.
Damals
begannen sich die ersten Gedanken über meinen Beruf in
meiner Seele zu regen. Ich hatte am älterlichen Herde so oft von
einem geistlichen Leben gehört und mich selbst so sehr in ein
geistliches Leben hineingedacht, daß es mir längst klar
geworden war, ich sei dafür geschaffen. Meine künstlerischen
Beschäftigungen machten mich nun bekannt mit dem Wirken
und Schaffen so mancher frommer Klosterbrüder. Durch meinen
Vater erfuhr ich, daß die sinnreichen Initialen der alten Werke
meistens von Mönchen herrührten. Er erzählte mir von
dem wunderbaren Fleiße, mit welchem in Stiftern und Abteien die
kleinen Miniaturbilder aus der heiligen Geschichte gefertigt worden
seien. Viele der besten Gemälde der Kölnischen Schule
wurden als Werke der in stiller Einsamkeit schaffenden Ordensgenossen
dargestellt. Und auch die Italienische Schule wies große
Meister unter den Geistlichen auf. Fra Fiesole und Fra Bartolomeo
waren Mönche gewesen, und die Bilder des liesborner (Sic! l klein) Meisters
rührten von einem westfälischen Klosterbruder her. Diese
Geschichten entflammten mehr und mehr meine Einbildungskraft. Das Amt
eines Priesters hatte mir immer als das beneidenswertheste und
höchste geschienen. Noch viel erhebender kam es mir vor, in
diesem Stande Gott durch die Kunst nahe zu treten und ihn durch
heilige Bildwerke zu verherrlichen. In
eine solche Zukunft schwammen alle meine Gedanken hinaus. Ich
fühlte
mich durchaus begabt und befähigt, auf dieses Ziel hinzusteuern.
Da
auch meine Aeltern anfingen, über meine Zukunft
nachzudenken und mitunter darüber zu sprechen, so theilte ich
ihnen meine Gedanken und Plane (Sic!
a, kein ä, K. J.) mit. Die Mutter war voller Seligkeit
über meine Neigung zum geistlichen Stande. Sie offenbarte mir,
daß es immer ihr tiefster Wunsch gewesen sei, mich dereinst als
Hirten einer Gemeinde betend, wirkend, helfend und segenspendend zu
sehen, daß sie aber diesen Wunsch niemals ausgesprochen habe,
aus Furcht, sie möchte mein weiches, lenkbares Gemüth zu
einer Wahl bestimmen, welche ich vielleicht aus Liebe zu ihr gegen
die Neigungen meines Herzens ergreifen würde. Weniger schien
dagegen der Vater meinen Planen beizustimmen. Er machte auf die
Schwierigkeiten des geistlichen Berufs aufmerksam und meinte,
derselbe fordere viele Opfer, welche die Natur kaum zu überwinden
vermöge. Ehe man in dieser Angelegenheit zu einem Entschlusse
komme, bedürfe es langer und sorgfältiger Prüfungen
des Geistes und seiner Kräfte. Besonders aber behauptete er,
daß
mir jetzt selbst noch die rechte Klarheit über mein Können
und Wollen abgehe; offenbar wisse ich, wie es auch aus meinen
Aeußerungen hervorgehe, noch nicht, ob ich mehr Beruf zum Amte
eines Seelsorgers oder eines Künstlers habe, denn ich
verwechsele noch das eine mit dem andern. Jene Zeit, von welcher ich
träume, sei längst dahingegangen. Alle Verhältnisse
seien umgestaltet. Ein Kloster, wo ich allein der
Kunst obliegen könne, würde ich
vergebens suchen, und als praktischer Geistlicher könne ich
nicht die Zeit finden, um mich ausschließlich mit der Kunst zu
beschäftigen. Heutigentags dürfe man nicht mehr zweien
Herren auf einmal dienen. Uebrigens habe ich auch noch Zeit, einen
Stand zu wählen, ich möchte nur vorläufig meine
Pflichten in der Schule erfüllen; wäre ich erst mit dem
Zeugniß der Reife entlassen, so würde sich das Spätere
finden.
Diese
Angelegenheit kam noch oft zur Verhandlung. Meine Aeltern
konnten sich in diesem Punkte nicht einig werden, ja, er brachte eine
gewisse kleine Misstimmung in das Haus, und so wurde denn die Sache,
sobald wir zusammen waren, gar nicht mehr besprochen. Befand ich mich
indeß allein mit der Mutter, so bestärkte sie mich in
meinem Vorhaben und schloß fast immer mit dem Aufruf zu
kindlichem Vertrauen auf Gott. Ganz im Gegensatze ermahnte mich
der Vater, sobald er mich ungestört in seiner Gesellschaft
hatte, vor allen Dingen klar über mich selbst zu werden, damit
ich keinen vorzeitigen Entschluß zu bereuen habe. Auf diese
Weise wurde ich selbst in ein Labyrinth von Zweifeln geworfen. Mein
träumerisches Wesen war nicht geeignet, den klaren Pfad zu
finden, und meine Gedanken standen wiederum zu sehr im Dienste der
Phantasie. Zuletzt schien es mir das Beste, die ganze Angelegenheit
auf spätere Zeiten zu verschieben.
Ich
war unterdessen in die höhern Klassen der Schule
vorgerückt und vom Knaben zum Jüngling herangewachsen.
Meine Gestalt war schlank und hoch hinaufgeschossen, mein
Haar floß in weichen dunkeln Locken um das Haupt, und
so einfach und fromm ich auch dachte, so war ich doch nicht so
ungeschickt, um mir nicht vom Spiegel sagen zu lassen, daß
meine Gesichszüge (Sic! K.
J.) wohlgestaltet und daß meine braunen
Augen voll Feuer waren. Dabei gewann meine Stimme einen tiefen und
klingenden Ton. Ueberdies kam etwas in meine Seele, das mich gerade
und kräftig einherschreiten hieß. Mag die Erziehung auch
den größten Einfluß auf die Gestaltung eines
Charakters haben, die Natur läßt sich ebenfalls ihr Recht
nicht nehmen. Ich war in eine solche Periode eingetreten. Ich
fühlte,
daß ich aus dem Kinde ein Mann wurde, und verhielt mich andern
Menschen gegenüber selbständiger und bewußter. Mag
man es immerhin Eitelkeit nennen; ich glaube indeß, daß
selbst der abstracteste Mensch nicht über diese Eigenschaft
hinauskommt. Die Grundstimmung meines Wesens aber blieb sich
trotzdem
gleich; denn die religiösen und künstlerischen
Schwärmereien verließen mich keineswegs, im Gegentheil,
sie befestigten sich immer tiefer in meiner Seele.
In
dieser Zeit begab sich ein Ereigniß, das den
entschiedensten Einfluß auf meinen Lebensgang haben sollte. In
meine alten Träumereien versenkt und hier und dort an alten
architektonischen Werken herumstöbernd, machte ich einen
Spaziergang durch die Stadt. Es war hoher Sommer, die Luft ging milde
und duftend, der Himmel spannte sich in blauer Tiefe über mir.
Hoch im Aether schwirrten die großen Thurmschwalben. Alles
athmete Ruhe und Frieden. Ich hatte mich in eine Gegend begeben,
welche mir sonst ziemlich aus dem Wege lag,
und die man überhaupt selten betrat,
weil es dort viele Gärten, aber wenige Wohnungen gab. Als ich
mit einemmal um eine Ecke bog, lag vor mir ein kleiner Platz, daran
stand ein Haus mit einem Erker, und in dem Erker überraschte
mich ein wunderbares Bild. Die Fenster waren in das Innere hinein
geöffnet, und an den Säulen hinauf, welche aus den feinsten
gothischen Ornamenten bestanden, rankten sich üppige südliche
Pflanzen. Das alles aber bildete die Einfassung einer reinen
Frauengestalt, die in weißen Gewändern, ohne allen andern
Schmuck als den ihrer keuschen Schönheit, einfach und
unbeweglich dastand. Es war eine Erscheinung, erhaben und heilig wie
ein Gebet. In welche hohe Betrachtung mochte sie versunken sein,
daß sie einen so himmlischen Ausdruck annehmen konnte? Es war
ein seltsamer Moment. Die scheidende Sonne streute ihre lezten
Strahlen über die Welt. Das goldene Abendlicht verklärte
Antlitz und Gestalt der Jungfrau mit einem röthlichen Schimmer,
und als sich hinter ihr in dem zurückgeschobenen Fenster zum
letzten mal das Bild der Sonne spiegelte, setzte sich das schöne
Haupt des Mädchens auf dem leuchtenden Glase ab, daß es
war, als hätte ein Strahlenkranz dasselbe umgeben. Mir wurde es
zu Muthe, als wäre eine meiner Visionen vor mir lebendig
geworden, als wäre eine Heilige des Himmels vor mir
aufgestiegen, so hold, so rein, so mild, so friedenreich wirkte diese
ganze Erscheinung.
Wie durch einen Zauber an die Stelle gebunden, blieb ich stehen. Meine Sinne schwanden mir. Wie lange ich ausgeharrt habe, ich kann es nicht abmessen. Aber das Bild schien sich zu halten. Als ich plötzlich zu mir kam, war die Erscheinung verschwunden, das Fenster verschlossen, die Sonne untergegangen. Ich eilte so schnell wie möglich von dannen, zweifelnd, ob das Bild eine Wahrheit gewesen, beschämt, daß ich mich nicht besser zu beherrschen gewußt. Und dennoch wollte es mich nicht verlassen. Es schlich sich in die Gedanken des Tages, es kreuzte die Träume der Nacht. Wo ich ging und stand, da war es bei mir. Wenn ich Stift und Pinsel ergriff, so drängte mich der Geist, es zu gestalten. Ich versuchte andere Bilder: immer kam ich auf dieses zurück. Zuletzt fühlte ich mein Gewissen beschwert, ich wollte die Jungfrau für eine böse Vorspiegelung halten und betete mit Inbrunst, daß Gott mein Herz seinen Vorsätzen treu erhalten möge. Aber auch das war vergeblich; immer erschien mir aufs neue jenes seltsam verführerische Bild, das mich in magischen Banden hielt.
III.
Alle
Bestrebungen, meine Ruhe wiederzugewinnen, waren vergebens.
Wenn ich an meine frühern Vorsätze und Plane (Sic! K.
J.) dachte, dann
stand ich wie vernichtet. Wie sollte ich vor meiner Mutter bestehen,
wenn sie in einer gemüthlichen Stunde von ihren Hoffnungen, mich
dereinst als Seelenhirten zu begrüßen, anhübe! Ich
mußte jetzt selbst zugeben, daß das Recht doch auf der
Seite meines Vaters war, wenn er meinte, ich sei im Unklaren über
mich selbst, und wenn er mir rieth, zu warten und zu prüfen, ehe
ich mir einen so schweren und großen Beruf wählte.
Länger
konnte ich mich nicht mehr täuschen: ich fühlte in meinem
ganzen Wesen, daß in mir etwas vorgegangen war, was alle meine
frühern Vorhaben zerstörte. Es wurde mir klar, daß
ich weder meinen Geist noch mein Herz gekannt hatte. Noch wollte ich
es mir nicht völlig eingestehen, welches Gefühl bei mir
eingekehrt war.
Ach!
war es denn die Liebe, die mir nun fürder keine Ruhe
mehr ließ! Von den Menschen hielt ich mich jezt noch entfernter
als in frühern Tagen; selbst Vater und Mutter suchte ich zu
vermeiden. Wohin war die
Stille und der Friede, die mir sonst am
heimischen Herde so wohlgethan hatten? Das Haus fesselte mich nicht
mehr. Aus einem Stubenhocker wurde ich plötzlich ein
umherschweifender Abenteurer. Und wohin ging es, wenn ich draußen
war? Immer und immer trieb es mich wie mit einer heimlichen Gewalt
nach der Stelle hin, wo ich die mystische Erscheinung gehabt hatte.
Wenn ich aus der Thür trat, so wandelten meine Vorsätze
freilich einen ganz entgegengesetzten Weg; aber ich war noch nicht
weit gewandert, so verfiel ich in meine gewohnten Träumereien,
und wenn ich erwachte, so fand ich mich zu meinem Schrecken und zu
meiner Freude nicht fern von jenem Platze, an welchem die Wohnung des
engelschönen Mädchens lag. Und dann stand ich still, wie
verzaubert und angemauert, und schaute nach dem Erker hin. Jedoch
vergeblich! Der Rahmen war da, aber das Bild mit seiner Glorie
erschien nicht wieder.
Während
ich so that, was ich nicht thun wollte und doch nicht
lassen konnte, wurde es in meiner Seele immer verwirrter und
nebelhafter. Ich vermochte diesem ganzen Ereigniß gegenüber
keine Klarheit zu gewinnen. Bald fühlte ich eine selige Ruhe und
einen köstlichen Frieden, bald peinigten mich tausend Zweifel
und Aengste. Bald schienen mir meine Gänge nach dem Platze
Wallfahrten zu einem wunderthätigen Bilde, das der Himmel wie
einen Sporn zur Andacht und zur frommen Kunst gesendet hatte; bald
sah ich in der Erscheinung das verführerische Gaukelspiel einer
irregeleiteten Phantasie, welches mich in schlimme Versuchungen
verstricken wollte. Bald kam es bei diesen Gedanken über mich
wie geheiligte Lieder,
deren Harmonien ich bei kirchlichen Festen gehört
hatte; bald war es mir, als hörte ich dazwischen ein
höhnisches
Lachen, welches meine Plane für ein geistliches Leben
verspottete. Nach und nach wurde ich ganz rathlos. Wie sollte ich mir
helfen? Was konnte mich aus diesem Wirrsal retten?
Ich
nahm meine Zustucht (Sic!
...stucht mit st, K. J.) zu den Tröstungen und Heilsmitteln
der Religion. Ich beschloß, mit meinem Herzen vor Gott zu
treten, ihm meine Beängstigungen zu beichten und mich im
Abendmahl mit ihm zu vereinen. Es war meine feste Zuversicht, daß
er mir beistehen würde, sobald ich ihm mit meinem ganzen Wesen
ein frisches Opfer gebracht hätte. Mit diesem Plane begab ich
mich eines Sonntags am frühen Morgen zu einer von unserer
Wohnung zumeist entfernt liegenden Kirche; denn ich wollte die
Reinigung und Läuterung meiner Seele in einer Gemeinde
vollbringen, wo ich am wenigsten gekannt und gesehen wurde. Mit
einer lange nicht gefühlten innern Zufriedenheit erreichte ich
das Gotteshaus. Ich ging zur Beichte und fand einen Priester, der
mich mit milden, wohlwollenden Worten beruhigte und mir nach meiner
tiefgefühlten Reue die Absolution gab. Fast hatte ich meine
Bußgebete vollendet und bereitete mich eben zur Communion
vor, als an meiner Seite, wie ich auf den Knien dalag, ein weißes
Kleid vorüberrauschte, dessen Berührung mich seltsam
durchzuckte. Unwillkürlich erhob ich die Augen und verfolgte mit
den Blicken die gemessen hinschwebende Gestalt. Nicht weit von mir
hemmte sie den Schritt, sie kniete nieder und wendete sich einem
Marienbilde zu, das in meiner Nähe an einem Pfeiler stand. Bei
dieser Bewegung
sah ich ihr Angesicht. Meine Sinne verwirrten sich, alles um mich her
drehte sich vor meinen Augen – denn ich erblickte das Bild aus dem
Erker.
Nach
und nach gewann ich wieder die verlorene Macht über mich
selbst. Aber umsonst suchte ich die Fäden der Gebete auf, die
mir eben entfallen waren. All meine Andacht war dahin. Unter diesen
Umständen wagte ich es nicht, die Sühne meiner Seele durch
den Empfang des heiligen Brotes zu vollenden. Ich fühlte mich
durch die Erscheinung aufs neue in Versuchung geführt, ich
fühlte mich durch meine Schwäche aufs neue befleckt. So
verschob ich meine völlige Entsündigung auf einen
spätern
Tag. Aber dennoch verließ ich nicht die Kirche, wie es meine
Pflicht erheischt hätte. So sehr ich auch kämpfte, all
meine Sinne wurden geheimnißvoll von jenem unbekannten
Mädchen
angezogen. Und in der That, ich hatte auch niemals eine
größere,
vollkommenere Hingebung erblickt als in dem zarten, edeln Ausdruck
ihres Gesichts. Die innige Tiefe des Auges und die schwellende
Inbrunst des Mundes war mir selbst in den altdeutschen Bildern nie so
vollendet vorgekommen wie auf diesem Antlitz. Wenn die heiligen.
Hymnen erschallten, glaubte ich zugleich ihre Stimme süß
und klar über alle andern zu hören. Allmählich versank
ich vor diesem Wesen in eine Andacht, welche mir mehr Befriedigung
und Wohlgefallen gab, als alle Gedanken an die Apostel und Heiligen.
Von
dieser Stunde an wurde ich zum sonntäglichen Besucher der
Kirche, in welcher ich das Mädchen wieder gefunden
hatte. Und wirklich traf ich sie
immer zur bestimmten Stunde in derselben Messe und an dem gewohnten
Orte. Ihr Wesen blieb unverändert; sie war in ihrer
ganzen Erscheinung ein Muster einfacher, stiller Frömmigkeit und
Gottergebenheit. Fast bebte ich zurück vor dem Eindruck der
hellen Keuschheit, den sie auf mein Gemüth machte. Nicht minder
aber rührte sie mich durch die Zartheit ihrer schlanken Glieder
und durch die lilienhafte Blässe ihres Angesichts. Bei ihrem
Anblicke kam es mir zuweilen vor, als sei sie nur ein flüchtiger
Bote, der für einen schönen Tag auf die Erde geschickt
wäre, und der ebenso schnell wieder zurückkehren würde
in die himmlische Heimat. Ich erfuhr von ungefähr, daß sie
Angela hieß. Wunderbar genug stimmte auch der Name zu diesem
Glauben. Sie war eine Botin des Friedens und der Seligkeit. Sie
hieß,
was sie schien: Engel.
In
seltsamer Weise mischte sich in meinem Geiste eine religiöse
Verehrung und ein irdisches Gefühl für das Mädchen. Wo
hörte das eine auf, wo begann das andere? Ich wußte es
nicht zu sagen. Indeß fehlte es bei mir doch nicht an
Aeußerungen, welche die Aufmerksamkeit meiner Heiligen auf sich
ziehen mußten. Wenn sie in die Kirche kam und wenn sie dieselbe
verließ, war ich in ihrer Nähe. Auf dem Hin- und Herwege
begleitete ich sie, wenn auch in ehrerbietiger Ferne. Im Gotteshause
wählte ich mir gewöhnlich meinen Platz so, daß
ich ihr ins Angesicht sehen konnte. Da war es denn kein Wunder,
daß
sie mich zuweilen ihres Blides würdigte, geschah es nun am
Portale der Kirche oder an der Thür ihres Hauses. Ja, selbst
während der Messe, wenn ihre Augen über das Gebetbuch in die
Gemeinde streiften, fiel mitunter ein Strahl auf mich herab, der mir
wohlthat, wie der dunkeln Erde ein erstes Lächeln des
Frühlingshimmels. Wie beseligte mich ein solcher Moment! Kaum
empfand ich noch Gewissensbisse über dieses Treiben. Selbst
während der heiligen Gesänge und Gebete schienen mir diese
gewechselten Blicke Zeichen der Andacht in zwei Seelen, die vereint
dem Himmel ihr Opfer brachten. Ihr Geist mochte in ähnlichen
Gedanken auf mir ruhen.
War
es Erröthen, war es Erblassen, was ich in ihren Zügen
sah, wenn wir uns plötzlich und unverhofft erblickten? Ich
weiß es nicht, aber sicherlich bemerkte ich bei ihr einen
Widerschein meiner eigenen Gefühle. Noch deutlicher wurde mir
dies kund, als die Zeit der Firmung herankam, welche nur alle paar
Jahre von der Kirche gespendet zu werden pflegt. Wir hatten beide
diese Weihe noch nicht empfangen, wir befanden uns in derselben
Procession, welche zum Dome zog. Wir standen uns in der Kirche
gegenüber. Sie war wunderbar anzuschauen; ich hatte sie nie so
verklärt und vergeistigt gesehen. In ihrem weißen Kleide
mit dem weißen Rosenkranz auf dem Haupte gemahnte sie mich
wieder an jene Scene, wo sie mir zuerst wie eine Botin des Himmels
vorgekommen war. Und auch jetzt fiel einer ihrer tiefen. Blicke auf
mich, und auch jetzt schien sie in ihrer Andacht verwirrt; es
däuchte
mir, als zöge ein leises Lächeln, das wie Zustimmung
aussah, über ihre bleichen Züge. Mir griff es bis in die
tiefste Seele, denn ich fühlte darin einen geistigen Gruß.
Von diesem Augenblicke an glaubte ich mich mit ihr verwandt, verbunden,
fast wie verschwistert.
Über
unsere Bekanntschaft blieb rein geistiger Art. Im
Frühling hatte ich sie zuerst gesehen, es war Herbst gewesen,
der Winter neigte sich zum Ende, und wir waren uns nur in der Kirche
begegnet. Und so blieb es auch bis um die Osterzeit. Die stille Woche
war gekommen, und der Dom rief die Gläubigen mehr als die andern
Gotteshäuser in seine erhabenen Hallen, um dort die Trauerzeit
der Kirche zu feiern. Angela befand sich stets gegen Abend unter den
Betenden, die vor einem sinnig aufgebauten heiligen Grabe knieten.
Der Charfreitag versammelte eine große Anzahl frommer Christen
an diesem Orte. Der Chor der Sänger hatte für diesen Tag
altitalienische Kirchenmusik von Palestrina, Allegri und Lotti
einstudirt, und ein klangvoller Tenor sang mit leiser Orgelbegleitung
die Lamentationen des Propheten Jeremias, denen der alte Meister
Orlando Lasso jene einfachen und doch so wunderbar ergreifenden
Melodien gegeben hat. Es wehte eine heilige Stimmung durch das
riesenhafte Chor. Die seltenen Lichter erhellten nur sparsam den
weiten Raum und warfen zitternde Schatten an die gewölbte Decke
und an die schlanken Säulen, deren Kronen so lieblich
verschlungenes Blätterwerk tragen. Die Kirche schien durch diese
ungewisse Beleuchtung noch höher und gewaltiger. Tausende von
Menschen standen aneinandergepreßt am Boden, ohne daß man
einen einzigen Laut aus der Menge hörte. Nur die Musik war laut,
und sie verströmte jene reinen, edeln, heiligen Thränen des
Christenthums, welche über das
Leiden und Sterben des Erlösers aus den begeisterten
Seelen frommer Meister geflossen sind, und welche jetzt noch ganze
Gemeinden zum Weinen und Schluchzen rühren. Auch heute waren
wenig trockene Augen ringsum zu finden. Ich stand in der Nähe
Angela's, deren ergriffene Züge doppelt ergreifend auf mein Herz
einwirkten. In meinem Leben war ich wol nicht andächtiger und
reiner gewesen; denn nichts macht frömmer, als fromme Menschen
zu sehen. Wie viel mehr mußte das bei mir der Fall sein, da ich
ohnehin durch sie ein erhöhtes und geläutertes Leben
führte!
Als
der Gottesdienst zu Ende ging, entfernte sich die Menge in der
größten Stille; denn es klangen in jeder Seele jene
wunderbaren Lieder christlicher Trauer nach, welche wie Stimmen des
Himmels über die andächtigen Scharen hingezogen waren. Ich
folgte den Schritten Angela's, die mit einer Freundin die Kirche
verließ. Unter dem Portale trafen wir zusammen. Ich zitterte,
ihr Kleid zu berühren. Unbewußt und doch bewußt
suchte jedes (Sic! K. J.)
nach der Hand des andern. Ich fand die ihrige, sie fand
die meinige. Ein sachter liebender Druck — und dann waren wir
wieder getrennt durch die Gewalt des nachdrängenden Volks.
Wunderbarer Augenblick! Was so lange als ein von uns selbst kaum
geahntes Geheimniß in unsern Seelen geschlummert hatte, das war
plötzlich offenbar geworden. Wie ein Funken hatte es
gezündet,
als unsere Finger sich berührten. Unsere Seelen hatten sich
gefüßt. So sagt ein kleines Zeichen oft endlose Dinge. So
ist oft eine warme Nacht entscheidend für den Frühling,
wenn es lange zweifelhaft war, ob der Norden oder der Süden siegen
werde.
Sie schließt die Knospen auf, sie löst den Vögeln die
Zungen, und wenn die Sonne leuchtend am östlichen Himmel
emporsteigt, dann sieht sie die Erde in ihrem strahlenden Brautkleide
jubelnd und lachend vor sich liegen. So war mir die Sonne meiner
jungen Liebe aufgegangen und beleuchtete die Gefilde meiner Zukunft,
die, mit allen Wonnen und Reizen ausgeschmückt, sich vor dem
Auge des Geistes ausdehnten.
Wie ich durch die Straßen gegangen, wie ich nach Hause gekommen bin, wer kann es sagen! Ohne ein Wort zu sprechen, saß ich bei meinen Aeltern, die, an solche Eigenheiten gewöhnt, nicht weiter die Ursache zu erforschen suchten. Auf meinem Zimmer konnte ich den Schlaf nicht finden; ich kleidete mich aus, aber eine heiße Glut durchwühlte meine Adern. Ich öffnete das Fenster, legte mich hinein und starrte lange in die dunkle Nacht, welche kein Stern schmückte. Kaum fühlte ich den kalten Hauch, der mich anwehte. Erst gegen Morgen, als die Natur ihr Recht an meinem jugendlichen Körper geltend machte, sank ich in einen tiefen Schlaf.
IV.
Trotz
den heftigen geistigen Bewegungen, welche diesem Ereigniß
auf dem Fuße folgten, fühlte ich mich doch an den
folgenden Tagen ungleich ruhiger und zufriedener. Statt der
ängstlichen Rastlosigkeit, die mich lange Zeit fast täglich
und stündlich gequält hatte, spürte ich sogar einen
süßen und angenehmen Frieden in meine Seele einkehren. War
es auch ein Wunder? Das erste Räthsel, welches mir das Leben
so mystisch und seltsam aufgegeben hatte, lag gelöst vor mir.
Die Unklarheit, in welche dasselbe mich versetzte, war verschwunden.
Ich konnte wieder frisch athmen, und ich athmete in der That mit
jungem, frischem Muthe. Ich liebte und ich wurde geliebt. Das war
alles, was ich wollte und wünschte. Eine stille Seligkeit zog in
meine Seele ein.
Dieses
für meine Jugend so große Erlebniß konnte
nicht verfehlen, den bedeutendsten und nachhaltigsten Eindruck auf
mein Wesen auszuüben. Meine ganze Anschauungsweise ging dadurch
mit einemmal einer völligen Umwandlung entgegen. Wohin waren
nun plötzlich alle Träumereien und Visionen gegangen,
deren Art und Weise vorzugsweise religiös genannt werden
mußte?
Wo blieben meine legendarischen Studien? wo (Sic! hier wo klein! K.nJ.)
meine
gewissenhaften Andachtsübungen? Keineswegs war mein kirchliches
Leben gestört, keineswegs meine Frömmigkeit gestorben.
Aber das alles hatte eine so verschiedene Färbung angenommen!
Wenn ich betete, wenn ich las, wenn ich zeichnete, so nahmen alle
Gestalten, welche vor mir auftauchten, die Züge Angela's an.
Meine Neigungen bewährten sich als dieselben, aber sie hatten
eine andere Atmosphäre gefunden; meine Bestrebungen blieben
unverändert, aber sie gingen nach einem andern Ziele. Der Cultus
meiner Seele war in eine andere Phase getreten; er bedurfte eines
heitern und klaren Lichtes. Früher hatte die Natur nur wenig
Eindruck auf meinen Geist gemacht. Von einem Stücke alter Kunst
war ich bei weitem mehr ergriffen worden als von der schönsten
landschaftlichen Scene. Mit einemmal kam mir eine andere
Erkenntniß.
Ich machte, was früher fast nie geschehen war, Spaziergänge
ins Freie, mein Auge schwelgte in Gebirge, Wald, Feld und Strom; ein
schöner Morgen und friedlicher Abend konnte mir Thränen ins
Angesicht locken.
Ja,
die Liebe machte mich weltlicher gesinnt. In meinem
Aeußern
mußte sich die Umgestaltung meines Innern ebenfalls kundgeben;
und warum sollte sie es nicht? Ich sah auf einen gewähltern
Schnitt der Kleider und besorgte meinen Anzug mit größerer
Sorgfalt. Dabei wurde auch der Spiegel, dem ich früher ein
schlechter Kunde gewesen war, nicht geschont. Kann ich es gerade
nicht Eitelkeit nennen, so mußte doch eine solche
Aufmerksamkeit ihren Einfluß auf meine Haltung und Gestalt
ausüben. Wer mich einigermaßen beobachtete, dem konnten
meine Veränderungen nicht
entgehen. Daß auch meine Aeltern nicht blind für den
Wechsel waren, der mit mir vorgegangen war, und der meinem Geschmack
eine verschiedene Richtung, meinen Handlungen einen andern Charakter
und meinem Wesen einen neuen Stempel aufgedrückt hatte, sollte
ich bald genug erfahren.
Mein
Geburtstag fiel in den Monat Mai. Ich wurde neunzehn Jahre
alt. Es war sonst nicht Sitte in unserm Hause gewesen, diesem Tage
einen festlichen Anstrich zu geben, zumal da wir früher dem
katholischen Gebrauch der Namensfeste gehuldigt hatten. Diesmal aber
wurde eine Ausnahme gemacht, weil er in diesem Jahre von
größerer
Bedeutung für das ganze Haus war. Ich hatte nämlich die
höchste Klasse der Schule durchgemacht und wurde, wenn ich die
Abgangsprüfungen glücklich überstanden, im nächsten
Herbste entlassen, um meine Studien auf der Universität
fortzusetzen. So war ich denn auch allem Ermessen nach das lezte
Jahr im älterlichen Hause, und so beging ich meinen Geburtstag
auch das letzte mal im heimelnden Kreise der Meinigen. Auf diese
Weise war schon Grund genug vorhanden, demselben eine kleine Weihe zu
geben. Ueberdies aber mochten meine Aeltern noch von einer andern
Ursache zu diesem Schritte getrieben werden. Ich hatte nämlich
seit langer Zeit kein Wort mehr über die Wahl meines
künftigen
Standes verlauten lassen, ja, ich suchte sogar jedes Gespräch
über diesen Gegenstand zu vermeiden. Offenbar war es aber sehr
an der Zeit, nunmehr zu einem bestimmten Entschlusse zu gelangen.
Endlich legte auch wol mein verändertes Wesen kein kleines
Gewicht in
die Wagschale, daß die Aeltern den Wunsch hegten, klar
über mich zu werden und mich selbst zur Klarheit zu führen.
So
brach denn dieser Tag heran, ohne daß ich im geringsten
eine feierliche Begehung desselben vermuthete. Der Zufall hatte
gewollt, daß es ein Sonntag war. Als ich morgens zum
Frühstück
in die Stube trat, fand ich die Aeltern schon dort. Sie kamen mir
feierlich entgegen und sagten mir ernst und bewegt ihre wohlgemeinten
Glückwünsche. Die Mutter schenkte mir ein
großes,
schönes Album, das ich gebrauchen sollte, um meine Zeichnungen
darin zu sammeln; der Vater gab mir ein neues, elegant gebundenes
Exemplar der Lebensgeschichten der alten italienischen Maler von
Vasari. Ich nahm die Gaben mit tiefer Rührung an und dankte von
Herzen. Wir setzten uns nun zusammen an den Tisch, und die Rede kam
bald auf den Ernst des Tages, auf meinen Abgang von der Schule, auf
meine baldige Trennung aus dem väterlichen Hause. Ich merkte
bald, wo es hinaus wollte. Hier galt es eine Entscheidung über
meine Zukunft. Ich zitterte vor den nächsten Augenblicken; mein
Herz pochte; ich konnte die Augen nicht mehr heben; die Stimme
versagte mir.
Meine
Ahnungen täuschten mich nicht. Die Mutter sprach sich
dahin aus, daß ich hoffentlich auf meinem Plane, Priester zu
werden, beharren bleibe. Ich fühlte bei diesen Worten die
Flammen auf Stirn und Wangen steigen; mein Blick haftete am Boden;
ich konnte keine Antwort finden. Die gute Frau schien aus meiner
Verwirrung eine abschlägige Antwort zu errathen und wagte, da sie
sich in all ihren schönen
Hoffnungen getäuscht jah, keine weitere Frage. Dagegen ermahnte
mich der Vater mit der größten Herzlichkeit, ich möchte
mir ein Herz fassen und reden; es würde mir ja kein Zwang
angethan; ich könne einen Lebensgang wählen, wie er mir
behage; nur müsse er mit Ueberlegung gewählt sein und
meinen Neigungen entsprechen. Alle seine Worte waren liebevoll,
wohlwollend, überzeugend. Sie fielen mir wie ein Balsam in das
Herz. Da konnte ich mich nicht länger halten. Die Thränen
quollen mir, dem Willenlosen, aus den Augen. Ich lag beiden in den
Armen. Das Wort kam mir wieder auf die Zunge, und ich erzählte
ihnen nun die Geschichte meines Herzens. So kurz sie dahingestammelt
war, so löste sie doch das Räthsel, das ihnen meine
jüngste
Vergangenheit aufgegeben hatte. Sie sahen ein, daß ich mir
selbst nicht mehr gehörte, also noch viel weniger der Kirche
angehören konnte.
Niemals
durfte ich so viel Güte und Liebe erwarten, wie ich
bei ihnen antraf. Statt scheltender, harter Worte fand ich die
mildesten Tröstungen. Der ungeheuchelte Schmerz meiner jungen
Seele mochte meine Mutter versöhnt haben. Der Vater war niemals
meinen Planen hold gewesen. Sie drückten mich beide ans Herz,
sie suchten nach den liebendsten Worten, um mich zu beruhigen.
Heute bedarf es ja keiner Entschlüsse, so meinten sie. Ich solle
nur ablassen zu weinen; ich möge mit mir selbst berathen, was
werden könne; ich müsse Gott bitten, daß er mir
beistehe und die rechte Einsicht verleihe. Je liebevoller diese
Behandlung erschien, desto mehr versetzte
sie mich in die tiefste Rührung.
Ich vermochte mich lange Zeit nicht zu fassen. Immer wieder von neuem
fing ich an zu zittern, immer wieder brachen mir die Thränen
aus. Fühlte ich mich glücklich oder unglücklich? Ich
war glücklich, solche Aeltern zu erkennen, unglücklich,
ihnen nicht ganz zu Willen zu sein.
Diese
Stimmung dauerte den ganzen Tag. Als ich im Bette lag,
konnte ich nicht einschlafen; wirre Bilder und Gestalten umflogen
mein Haupt. So kam mir der Schlaf, schwer, trüb und lastend, und
brachte in seinem Gefolge einen Traum, der mir, als ich erwachte, klar
vor der Seele stand, und den ich niemals vergessen werde.
Ich
fand mich in einem herrlichen Garten. Wunderbare Bäume,
voll von großen, schönen, mir ganz unbekannten Blumen und
Früchten, ragten mit ihren stolzen Massen in den tiefen Himmel.
Marmorne Statuen leuchteten weiß und glänzend zwischen dem
dunkeln Grün. In den Büschen flatterten allerhand fremde
Vögel, welche mit wildem Geschmetter die köstlichsten
Lieder sangen. Auf dem Boden dufteten reiche Beete mit den
mannichfaltigsten Kräutern und Blüten. Laue Lüfte
wehten durch all diese Pracht und Herrlichkeit, während
Springbrunnen, die mit glänzenden silbernen Strahlen hoch aus
den Gebüschen in die Höhe kletterten, eine wonnige
Kühlung
verbreiteten. Es war Nacht, aber der Vollmond leuchtete so feuerklar
am Himmel, daß ich überall die Dinge gewahren konnte, als
strahle die helle Mittagssonne im Aether. Wie seltsam schauten mich
Baum und Strauch an in diesem zauberhaften veilchenblauen Lichte! Im
Anfang war ich wie betäubt von dem
Balsam, den die Pflanzen aushauchten, von den Liedern, welche die
Vögel sangen, und von dem Geräusche, das in den Quellen
murmelte. Nur allmählich kam mir die Besinnung. Da wandelte ich
denn in den Garten hinaus und beschaute mir die Gegenstände,
welche ihn so wunderbar schmückten. Die Pfade, welche sich
hindurchzogen, bildeten große Kreise, die, je mehr ich nach
innen voranschritt, immer kleiner und kleiner wurden. Wie ich weiter
kam, blühte die Natur noch reicher und herrlicher. Die
palmenartigen Bäume wurden zuletzt riesengroß, die
Blumen öffneten ihre Kelche stets duftiger und
tiefprächtiger.
Die Stimmen der Vögel ertönten immer ton- und
melodienreicher.
Endlich
gelangte ich in den Mittelpunkt des Parkes, in dem sich
alle Wege einigten. Welches Wunder strahlte mir entgegen! Dort stand
eine Rose, zart, lieblich und duftig, wie ich niemals eine andere
sah. Sie war halb Knospe, halb Blume. Durch moosiges Grün
brachen keusch emporschwellend die röthlichen Kelchblätter.
So freundlich lacht nicht das Morgenroth, wenn es am östlichen
Himmel aus der Nacht emporsteigt. Das Beet, auf dem sie ihren Platz
hatte, bestand aus lauter buntfarbigen Edelsteinen, die wie
Diamanten, Rubinen, Smaragde und Topase durcheinanderblitzten,
und die im Lichte des klaren Mondes allerlei seltsame Figuren
bildeten. Als ich die Rose zwischen denselben in ihrer keuschen,
sinnigen Schönheit sah, begriff ich erst, warum in der Runde die
Blumen so herrlich blühten, die Vögel so tausendtönig
sangen, die Zweige so flüsternd rauschten, die Brunnen so
geheimnißvoll plätscherten. Alles klang, glänzte und
duftete in eine einzige
große
Harmonie zusammen. Es war ein Hymnus auf die Rose. Mich ergriff ein
unendliches Verlangen, sie zu pflücken. Je stärker diese
Regung wurde, desto lauter drang es auf mich ein, meinen Vorsatz
auszuführen. Es war, als riefe mir aus Gebüsch, Quell und
Luft ein vielstimmiger Chor entgegen: Pflücke sie, pflücke
sie!
Diese
Aufforderungen klangen so vielfach und lockend, daß
ich zuletzt nicht widerstehen konnte. Wie sehr mein Herz auch zagte
und meine Hand zitterte, so wuchs mir doch endlich der Muth. Ich
schritt mit einemmal kühn zum Werke, trennte die Rose vom Stamme
und drückte sie inbrünstig an meine Brust. Durch meine
Seele schwoll ein unsäglicher Jubel. Als ich aber den
Rückweg antreten wollte, da brach plötzlich ein düsterer
Mann aus den Büschen und machte Anstalt, mir das kaum gewonnene
Gut wieder zu entreißen. Eine gewaltige Angst überfiel
mich; ich hielt die theuere Beute krampfhaft am Herzen und lief, so
sehr ich es vermochte, von dannen. Aber ebenso rasch rannte er hinter
mir her. Der Weg dehnte sich unendlich lang; die Herrlichkeiten des
Gartens aber waren verschwunden: die Bäume hatten alle ein
schwarzes und giftiges Ansehen, aus den Gebüschen schienen mir
Fratzen nachzuhöhnen. Mit Entsetzen gewahrte ich
dabei, daß meine Rose immer bleicher und bleicher wurde.
Endlich stockte mir der Athem, ich konnte nicht weiter und sank
ohnmächtig nieder. Meine Blume hielt ich fest mit beiden
Händen.
Da erreichte mich der fremde Mann; er riß mir mein Eigenthum
vom Herzen. Meine schöne Rose wurde zerrissen, auf
die Erde geworfen und von seinen rohen Füßen
zertreten.
Ich
schrie laut auf. Ach Gott! in (Sic!
klein! K. J.) dem Augenblicke sah aus dem
sterbenden Kelche das milde, sanfte, leidende Antlitz Angela's
hervor. Voll Entsetzen schaute ich dem Mörder nach; er wandte
sich noch einmal mit höhnischem Lachen nach mir um; ich sah
unter dem faltigen aschfarbenen Mantel einen grinsenden Todtenkopf.
Meine Noth war endlos, aber ich raffte mich mit der letzten Kraft auf
und lief, obgleich mir aller Athem genommen war und mein Herz zu
brechen drohte, so schnell ich konnte, bis ich das älterliche
Haus erreichte. Dort angekommen, stürzte ich in das Zimmer
meiner Mutter, um mich in ihrer Hut zu bergen; aber sie war nicht zu
finden. Da erblickte ich auf dem Tische die Bücher, welche ich
eben erst als liebes Geschenk erhalten hatte. Ich nahm sie, verkroch
mich in eine Ecke und stellte sie als Bollwerk vor mich hin. Und in
der That fand ich durch sie Schutz und Schirm; denn sie wuchsen
riesengroß vor mir in die Höhe und bedeckten mich in einer
Art, daß ich mich ganz und gar in Sicherheit fühlte. Aber
erst lange nachher konnte ich meine Ruhe wiederfinden.
Als ich erwachte, schien mir der klare Tag in die Fenster. Es war mir unendlich wüst und wirr im Kopfe. Meine Pulse klopften fieberhaft. Der Traum in seiner ganzen Schauerlichkeit stieg aufs neue lebendig in meiner Erinnerung auf und erschreckte mich fast noch mehr als in dieser verwünschten Nacht. Er stand mit mir auf und begleitete mich den ganzen Tag; er legte sich mit mir nieder; er folterte mich lange Zeit nachher; er machte mich fast krank. Ich konnte mich nicht des Gedankens entschlagen, daß er eine tiefere Bedeutung in sich trage. Was sollte der Garten, was die Rose, was der dunkle Mann, was meine Flucht, was die schützenden Bücher? So sehr ich meinen Scharfsinn anstrengte, ich fand nirgends eine Lösung.
V.
Alle
diese Stürme hatten eine vernichtende Zerrüttung in
mein jugendliches Gemüth gebracht. Nicht lange vorher war ich
aufgeblüht in frischer Kraft und Fülle; denn es war mir
gelungen, die Gegensätze zwischen meiner religiösen und
meiner Liebesschwärmerei zu lösen und eine Ruhe und
Zufriedenheit zu finden, die meiner ganzen Natur wohlthat. Die Scene
mit meinen Aeltern hatte neue Unruhe in meine Seele geworfen; die
Gestalten des Traumes verfolgten mich wie Gespenster. Es dauerte
nicht lange, und meine frische Blüte hatte einer fahlen
Blässe
Platz gemacht. Ich schlich wie ein armer Sünder umher, und aus
den Gesprächen meiner Aeltern entnahm ich, daß sie das
größte Mitleid mit mir hatten. Vater und Mutter ermahnten
mich aufs neue, guten Muth zu haben und mir die Wahl meines Standes
nicht zu sehr zu Herzen zu nehmen. Es habe ja noch Zeit, ehe ich
einen Entschluß zu fassen brauche. Vorläufig möge ich
nur alle meine Kräfte zusammennehmen, damit ich die Prüfungen
bestände. Auch nach dem Austritte aus der Schule könne ich
mich noch
bestimmen. Von den Beängstigungen, welche ich durch den Traum
erlitt, wußten die guten Herzen nichts, sonst hätten sie
mich auch wol in dieser Beziehung getröstet. Ich schwieg aber
davon, weil ich fürchtete, für einen abergläubischen
Menschen gehalten zu werden.
Daß
mich in dieser Stimmung meine alten Träumereien
und meine Ausflüge in die Kunst nicht heilen könnten, wurde
mir sehr bald klar. Alles, was ich früher getrieben hatte,
befriedigte mich durchaus nicht mehr. Sogar meine Wanderungen
längs
Angela's Wohnung und mein gewohntes sonntägliches
Zusammentreffen mit ihr in der Kirche waren nicht im Stande, den
Zwiespalt zu heben, der mir tief in der Seele saß. Hier konnte
einzig und allein eine angestrengte, derbe Arbeitsamkeit helfen. Das
fühlte ich am besten, als ich begann, mich mit den Vorarbeiten
zu den Prüfungen zu beschäftigen. Es liegt in der That ein
eigenthümlicher, nicht genug zu schätzender Balsam in einer
tüchtigen geistigen Thätigkeit, zumal wenn das Herz
ungestüme Erschütterungen überstanden hat. Konnte ich
auch die Gespenster nicht ganz und gar verscheuchen, welche mich so
blaß und ängstlich gemacht hatten, so kehrte doch eine
zufriedene Stimmung bei mir ein. Ich sah sogar oft mit Vergnügen
auf mein vollendetes Tagewerk zurück. Ueberdies gaben diese
Beschäftigungen dem Geiste eine veränderte Richtung. Das
erschlaffende Grübeln machte einer natürlichen Anspannung
des Gedankens Platz. Kurz, ich lernte mich in dieser Zeit selbst
besser achten, weil ich mir dasjenige, was ich dem Geiste zu geben
strebte, mit
Anstrengung erwarb, weil ich, statt der
bequemen Phantasie zu folgen, dem starren Gedanken nachging.
Da
meine Verstandeskräfte, sobald sie einmal getrieben und
gespornt wurden, nicht zu versagen pflegten, so gewann ich in kurzer
Zeit ein thatsächliches Wissen, von dem ich mir früher kaum
einen Begriff gemacht hatte. Meine Lehrer waren nicht wenig erstaunt,
als sie diese plötzliche Energie gewahrten. Sie fanden meine
Fortschritte fast unbegreiflich. Da sie aber auch zugleich bemerkten,
daß ich höchst angriffen aussah, so warnten sie mich vor
allzu großen Anstrengungen. Dieselben Ermahnungen hörte
ich von meinen Aeltern. Gleichwol (Sic!
K. J.) änderte ich mein Treiben
durchaus nicht. Ich hatte mich, wie ich jetzt einsah, zu sehr in
eiteln Träumereien berauscht und dadurch die Seele in eine
bedenkliche Erschlaffung gestürzt; ich mußte mich eben
deshalb jetzt mit der derben, kräftigen Kost der praktischen
Wissenschaft ernüchtern. Wol kostete mir diese Einsicht viele
und harte Kämpfe, aber ich hatte den Willen und ging als Sieger
aus dem Kampfe hervor, so hart er mir ankam. Zur Freude meiner
Lehrer, zum Stolze meiner Aeltern, zum Erstaunen aller derjenigen,
die mich einen Träumer genannt hatten, bestand ich mit Glanz die
Prüfungen. Auf dem Abgangszeugnisse stand, daß ich auf der
Universität Philosophie studiren würde.
Philosophie!
Welch ein unbestimmter Begriff! So heißt alles,
was nicht auf ein bestimmtes Lebensfeld hinausgeht. Man hält
sich damit jede Thüre offen; man kann später wählen,
was man will. So zog ich mich aus der Klemme, da ich in der That
nicht wußte, wo
es mit meiner Zukunft hinaus sollte. Uebrigens hatte ich doch
Eins gewonnen: ich athmete frischer, weil eine Lebensaufgabe zu
meiner und der Meinigen Zufriedenheit gelöst war. Ich mußte
jetzt freilich einen Entschluß fassen, aber ich durfte ihn auch
mit Freiheit fassen; denn ich hatte bewiesen, daß ich Thatkraft
besitze, wenn ich wollte, und wenn ich jezt meinen Stand wählte,
so konnte und mußte man mir auch Thatkraft zutrauen. Dieses
Bewußtsein gab mir auch den Muth zurück, mich meinen
frühern Beschäftigungen mit Muße und Behagen wieder
zuzuwenden. Ich begann aufs neue zu zeichnen. Ja, auch meine
Sehnsucht nach Angela fing an, aufs neue zu wachsen. Die Kunst regte
sich wieder. Die Liebe trat in eine frische Blüte.
Und
so ging ich denn eines Morgens den so oft betretenen Weg, um
an der Wohnung des geliebten Mädchens hinzustreifen. Aber
welcher Schrecken überfiel mich, als ich, auf den Platz tretend,
das Haus gewahrte! Die Fensterläden waren in Form von Särgen
zusammengelegt. Das bedeutete eine Leiche. Wer konnte es sein? War
es ein anderer Bewohner, oder war es Angela? Ihre ungewöhnliche
Blässe fiel mir ein. Dieser Gedanke lastete wie ein Alp auf
meiner Seele. Da sah ich an der Thür eine Gruppe stehen: es
schienen Leute aus der Nachbarschaft. Ich nahte mich dem Kreise. In
seiner Mitte stand ein Dienstbote des Hauses und erzählte den
Umstehenden, die liebe, gute, schöne, fromme Angela sei in der
Nacht plötzlich gestorben. Sie habe sich wohl und gesund zu
Bette gelegt, gegen Morgen habe sie gerufen, die Mutter sei zu ihr
geeilt und habe zu ihrem Schrecken gewahrt,
daß der Tochter eine
Schwäche
überkommen. Der Arzt sei geholt worden und habe den Kopf
geschüttelt. Dann wäre der Geistliche gekommen, und als
sie die heiligen Sakramente empfangen, sei die Kranke sanft und
gottergeben, wie sie im Leben war, gestorben.
Bei
dieser Nachricht war mir, als hätte mich der Schlag
gerührt. Erstarrt und verstummt stand ich da. In der Stumpfheit
meines Schmerzes wußte ich anfangs nicht, was ich that.
Dieses dumpfe Brüten machte bald einer entsetzlichen Angst Plaz,
die mich dämonisch forttrieb. So stürzte ich weg, ohne zu
wissen, wohin. Ich lief zum Thor hinaus und irrte weit in Flur und
Feld. Es war ein sonnenklarer Herbsttag; aber der blaue Himmel
dünkte
mir wie ein dumpfes, ehernes Gewölbe, die Bäume schienen
mir Trauer angezogen zu haben, die Blüten kamen mir vor wie
Trauerblumen, die Menschen, an denen ich vorüberrannte, sahen
mich an wie Gespenster. Ich fühlte mich endlos allein und
einsam. Mein Herzblut schien mir geronnen. Niemals vorher und nachher
im Leben habe ich so trostlose, grabesdumpfe Momente erlebt. Kopflos
stürmte ich fort. Wohin? Wie weit? Meine Erinnerung gibt mir
keine Kunde davon.
Erst gegen Abend kam einige Beruhigung in meine Seele. Ich kehrte in die Stadt zurück und kam fast unbewußt an das Haus, wo die theuere Leiche lag. Vor mir begegneten sich zwei Mädchen. Die eine fragte die andere: Gehst du mit, die todte Angela sehen? Die Gefragte schloß sich an und beide traten in das Haus. Ich folgte ihnen in der ängstlichen Erregtheit des Gemüths durch das Thor und die Treppe hinauf. Man hatte die Leiche in das früher von ihr bewohnte Zimmer gebracht. Schön, rein, lilienbleich wie im Leben lag sie auf dem Todtenbette, in lange weiße Gewänder gehüllt. Die Augen waren geschlossen, die Hände, über die Brust gefaltet, hielten ein kleines Crucifix. Ein Kranz von Rosen und Myrten blühte in ihren langen goldenen Haaren. Vor ihr brannten auf hohen Candelabern vier große Wachskerzen; die Blumen, ihre sonst so lieben Pflegekinder, standen so welk mit hängendem Gezweig um ihr Haupt, als ob sie über den frühen Tod der Gärtnerin trauerten; dazwischen hing ein Vogel, der seine alten Lieder schmetterte, aber die klangen so herzzerreißend und schauerlich, als wären es scharfe Klaggesänge. In diese jammervolle Scene schaute durch das Erkerfenster blutroth die Abendsonne herein und überleuchtete das blasse Angesicht, das sich leise zu röthen begann und wie mit einem Heiligenschein umgeben wurde. Wenn der Vogel schwieg, herrschte eine tiefe Stille im Zimmer, die nur durch das Schluchzen der im Nebenzimmer befindlichen Aeltern unterbrochen wurde. Die beiden Mädchen entfernten sich bald wieder, indem sie weinten und leise Worte flüsterten. So war ich allein im Zimmer. Ich nahte mich ruhig der Leiche, dieser wunderbaren Frühlingsblüte, der ein unzeitiger Sturm es nicht gegönnt hatte, zur Frucht zu reifen, nahm mir eine Rosenknospe und ein Myrtenzweiglein aus dem Kranze, küßte leise den blassen Mund und schlich still
von
dannen.
Mit
diesem letzten Abschied war ein seltsamer Friede über mich
gekommen. Auf dem Heimwege
drängte sich mir plötzlich der Gedanke an meinen Traum
gewaltig auf. Jetzt verstand ich die wirren Bilder, welche er meiner
Seele gegeben hatte. Der Garten bedeutete mein Leben, die Rose war
Angela, in dem düstern Mann erschien der Tod. Aber was sollten
die Bücher, hinter denen ich mich versteckte? Es kam mir wie ein
Blitzstrahl in die Seele geschossen. Sie galten als Zeichen, daß
mein geängstetes und gefoltertes Gemüth in der Kunst seine
Ruhe und seine Zufriedenheit wiederfinden würde. Auf weiten
Umwegen wälzte ich diese Gedanken durch mein Inneres. Vergebens
hatte ich lange nach einem festen Entschlusse über meine Zukunft
gestrebt: jetzt kam er fast von selbst, die Deutung schien mir wie ein
Fingerzeig Gottes. Mit zerrissenem Herzen, aber mit klarem Verstande
kam ich nach Hause.
Meine
Aeltern saßen in großer und ängstlicher
Spannung, als ich in die Stube trat; denn sie waren solche
Unregelmäßigkeiten nicht an mir gewöhnt. Allein mein
verstörtes und bleiches Aussehen nahm ihnen alle Vorwürfe
aus dem Munde. Ich faßte mich ihnen gegenüber, so gut ich
konnte, und theilte die Erlebnisse mit, die mich seit dem Morgen von
Hause entfernt gehalten hatten. Sie hörten mit Theilnahme und
Rührung meiner tiefbewegten und häufig mit Thränen
unterbrochenen Erzählung zu.
Ich
kam dann auf meinen ahnungsvollen Traum und seine wunderbare
Uebereinstimmung mit meinem Lebensgange zu sprechen, und nachdem ich
ihn nach meiner Weise ausgelegt hatte, setzte ich sie in
Kenntniß, daß ich die Vision für einen Wink der
Vorsehung
halte und seit heute entschlossen sei, mein Leben der Kunst zu
widmen. Was ich gefürchtet hatte, geschah nicht. Ich hörte
kein einziges Widerwort; meine Aeltern waren ganz mit meinem Plane
einverstanden, denn sie glaubten wie ich, daß eine höhere
Hand über meinem Haupte walte und mir bestimmte Pfade zeige.
Ich
hatte an dem folgenden Tage noch einen harten Moment zu
überstehen, nämlich Angela's Begräbniß. Ich
begleitete ihren Trauerzug nach dem Friedhofe. Es war ein schlimmer,
herber Gang. Unter den Leuten, welche ihr das letzte Geleit gaben, war
ich ein Fremder. Aber ich hatte ihrer Seele näher gestanden als
alle. Ich war durchbebt zum Zerknicken, aber ich schritt mit aller
Kraft dahin. Mir wollte das Leben erstarren, als der Sarg mit dem
grünen Myrtenkranze in die Gruft sank und die harten Schollen
mit dumpfem Tone darauffielen. Auch ich warf eine Hand voll Erde nach
zum Zeichen, daß ich hier alles der kühlen Erde gäbe,
was mir am liebsten und theuersten gewesen war. Da lag sie nun im
tiefen, tiefen Grunde. Ich hatte sie nie gesprochen – ein
Händedruck
der Lebenden, ein Kuß der Todten, das waren die Symbole meiner
Liebe gewesen. Dennoch war ich ihr für die Ewigkeit verbunden.
Ich hatte in ihr die Braut meiner Seele begraben.
Kurz
nachher rüstete ich mich zur Abreise, aber statt der
Universität bezog ich die Kunstschule. Mit Thränen besorgte
die Mutter meinen Koffer; der Vater sah ihr traurig zu. Sie waren
beide über alle maßen (Sic!
klein! K. J.) schweigsam, denn sie konnten sich
kaum in den Gedanken finden, mich
nun für immer aus dem Hause zu geben. Es war ein harter
Abschied. Ach! er wurde mir noch durch eine traurige Kunde
verbittert: jetzt erfuhr ich aus ihrem Munde, daß ich
nicht ihr eigenes Kind war. Ihre Ehe war nicht gesegnet gewesen mit
Nachkommenschaft; da hatten sie mich, ein älternloses
Waisenkind, adoptirt. Meine Rührung, meine Zuneigung, meine
Achtung für die trefflichen Herzen, die mich so treu, so
selbstvergessen gepflegt hatten, konnte bei dieser Eröffnung nur
steigen. Was sie mir gewesen, machte sich erst recht in meinem Herzen
kund, als ich sie verließ; nicht minder zeigte sich, wie sehr
ich ihnen in die Seele gewachsen war. Sie hatten alle Lust am Leben
verloren, da ich geschieden war. Als ich mich später auf einer
größern Kunstreise befand, starben sie kurz nacheinander.
Nie verwinde ich den Schmerz, daß ich fern sein mußte,
daß ich ihre letzten Stunden nicht versüßen,
daß ich ihnen die Augen nicht zudrücken konnte! Und sie
hatten doch nicht allein im Leben für mich gesorgt: auch nach
ihrem Tode stellten sie durch ein schönes Erbtheil meine Zukunft
sicher.
So hat mir das Leben schon in frühen Tagen Schmerz bereitet. Die Kunst hat viele Sühne in meinen Geist gegossen. Aber noch immer liegen die Spuren meiner Leiden auf meinem Dasein. So recht von Herzen unbefangen froh bin ich nicht mehr geworden. Die Liebe ist mir für alle Zeiten fern geblieben. In meiner Kunst aber offenbaren sich alle Eindrücke der Vergangenheit. Ich habe mich der religiösen Malerei gewidmet; denn ich habe mich von neuem in alle die Träume und Visionen meiner Jugend hineingelebt. Man hat mich darüber gelobt, man hat mich darüber getadelt; gelobt, weil meine Werke voll warmer Ueberzeugungstreue sein sollen; getadelt, weil ich einer veralteten Richtung huldige. Mich kümmert weder das eine noch das andere. Ich kann nicht anders; ich gebe mich, wie ich bin, ich lebe meinen frühern Erscheinungen und Gestalten. Sie haben mir die schönsten Tage meines Lebens verherrlicht: ich hoffe, sie sollen mir auch das Alter verschönern. In diesem Sinne bin ich stets jener Domschüler geblieben, den meine Mitschüler schon in früher Jugend in mir sahen. Wenn ich noch einen Wunsch hege, so ist es der: daß ich zugleich Künstler und Klosterbruder sein möchte.
W. M. v. K. wurde geboren
als Peter Wilhelm
Carl, der (Künstler-)Vorname Wolfgang wurde erst um
1840/1841 angenommen.
Als
Arzt blieb er weiterhin Wilhelm/Wilh./W. Müller. Im Adressbuch
Köln taucht er noch 1873 mit Wilhelm und Wolfgang auf.
Mit
beiden Vornamen: a) dem qua Geburt, also dem bürgerlichen Namen b)
dem Pseudonym (Wolfgang).
So, als
Wolfgang Müller,
publizierte er endlich
im (zweiten) Rheinischen Jahrbuch für Kunst und Poesie
1841.
Und
so veröffentlichte er auch sein erstes eigenes Buch, "Junge
Lieder".
Letzteres
erschien vermutlich noch Ende März 1841, spätestens aber
April 1841.
Als
"Wolfgang Müller von
Königswinter", also explizit mit dem
Orts-Zusatz,
veröffentlichte er ab
1846 (nachgewiesen),
evtl.
bereits ab 1845 (gedruckter Beleg dazu fehlt bislang).
Neuerscheinung als Papierbuch Dezember 2022,
als zusätzliches E-Book dann im Januar 2023.
Das
erste monographische, also "eigene" Buch von W. M. v.
K. ist "Junge Lieder". 1841 kam es raus.
Wolfgang Müller von
Königswinter
Junge Lieder
Die wunderbar romantischen Dichtungen von 1841 endlich in heutiger Schrift
Zugleich aber der Originaltext des stürmischen Poeten in der herrlichen Rechtschreibung von damals
DIREKTLINK ZU Wolfgang
Müller von
Königswinter: JUNGE LIEDER (Buch
erschien
im Dezember 2022,
zusätzlich
als E-Book im Januar 2023.)
Siehe auch Tabellarische
Zeitleisten-Biografie zu
Müller.
Auch Müller-Gedicht-Vertonungen.
Und: Siehe bislang bekannte Briefe an
und von Wolfgang Müller
von
Königswinter.
Ein paar Texte
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Und auch Liste
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Ernst Faber, 1895, "China in
historischer Beleuchtung" ||| komplett
als offener Online-Text
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UND EINE KLEINE BIBLIOGRAFIE ZU ERNST FABER IST HIER:
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